Der Klügere gibt nach!

Kennst Du das? Du hast als Kind einen Bruder oder eine Schwester gehabt und Ihr habt am Strand gespielt. Plötzlich gab es Streit wegen eines Spielzeugs und dann wurden mühevoll errichtete Sandburgen kaputt gemacht. Einer rannte zu  Mutter oder Vater, weinte sich aus und nun ging es damit los, die Schuld zuzuweisen und sich evtl. auch wieder zu vertragen. Was bekommt man zu hören. „Der Klügere gibt nach!“ Ich habe als Kind – selbst als Erwachsener, bis mir der Sinn klar wurde – nie erlebt, dass einer wirklich nachgegeben hat. Es war dann irgendwie erledigt, manches einfach so und Anders hat einen Nachgeschmack hinterlassen, vor allem, wenn ich mich noch entschuldigen musste.

Woran liegt es aber, dass der Klügere eben nicht nachgibt, bzw. keiner der Klügere sein will? Weil sich der Sinn nicht einfach so aus dem gesagten erschließt.

Da in unserer Erziehung recht zeitig damit begonnen wird, uns deutlich zu machen, dass wir uns von anderen unterscheiden müssen, indem wir besser sind oder uns zumindest besser darstellen, heißt dass für uns auch immer, im Recht zu sein, bzw. der Klügere zu sein und den anderen dumm darzustellen oder stehen zu lassen. Was ist aber außer sich zu unterscheiden ein weiteres Ziel in der besseren Darstellung – der Sieg über andere.

In einer Auseinandersetzung ist jeder der Meinung der Klügere zu sein, weil er ja im Recht ist und wenn er Recht hat, dann muss er ja siegen. Recht haben und nicht siegen geht nicht, ist ein Widerspruch in sich. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Ich habe einen Streit und ein dritter, vermeintlich Außenstehender soll oder will schlichten und sagt genau das: „der Klügere gibt nach!“   Ich bekomme also bestätigt, dass ich der Klügere bin, dass ich offensichtlich auch Recht habe.

Wenn das so ist, muss es mir doch gelingen, den Anderen mit meinen Argumenten als der Klügere zu überzeugen und damit zu bekommen, was ich will. Es wurde uns nie vermittelt, dass jeder Mensch die Welt mit seinen eigenen Augen sieht und das Gesehene entsprechend seinen Erfahrungen interpretiert. Dem entsprechend hat natürlich auch jeder Mensch seine Wahrheit, auch wenn sie mir als Lüge erscheinen mag.

Und es gibt einen ganz entscheidenden Hinderungsgrund, nicht nachzugeben. Da wir alle auf Sieg trainiert werden, koste es, was es wolle, will keiner verlieren. Wer verliert, der hat Angst, auch sein Gesicht zu verlieren. Selbst der Zweitplatzierte ist schon ein Verlierer.

Wollen wir im Sinne von „Der Klügere gibt nach!“ eine Einsicht oder Erkenntnis vermitteln, müssen wir den Beteiligten mehrere und andere Inhalte vermitteln.

Zunächst hat das Nachgeben gar nichts mit dem eigentlichen Streitinhalt zu tun, sondern einfach damit, einer Situation, die es in aller Regel gar nicht wert ist, die Schärfe zu nehmen. Nachgeben muss nicht heißen, dem Anderen Recht zu geben, sondern bedeutet viel mehr, den Standpunkt anzuhören und als auch eine Möglichkeit von vielen ins Auge zu fassen. So, wie ich eine Sache aus vier verschieden  Himmelsrichtungen oder im Winkel von 360° betrachten kann, gibt es auch verschieden gültige Meinungen und Standpunkte zu einer Sache. Selbst Wissenschaft kommt immer auf den Standpunkt des Betrachters an.  Tests bestätigen immer nur das vorhandene Wissen. Wir erkennen aber nichts, wovon wir heute noch nichts wissen, wir können es auf Grund seiner Unbekanntheit gar nicht sehen.

Bei einer Auseinandersetzung geht es eben – so glauben wir ganz fest – um Sieger und Verlierer. Wo es einen Sieger gibt, gibt es auch immer einen Verlierer. Mit dem Gefühl, zu verlieren, geht einher, das alle Anstrengung um sonst gewesen ist und das ist sie nie. Es hat vielleicht im Moment nicht gereicht, aber es gibt eine nächste Möglichkeit. Der Verlierer hat immer ein schlechtes Gefühl eines Versagers. Ein solches Gefühl wertet ab und zieht runter. Es nimmt Mut und Energie. Verlieren kratzt an der Ehre, am Selbstwertgefühl. Es trifft das EGO und das EGO hat Angst, mit dem Verlieren, ein Stück zu sterben.

Wann gibt es keinen Sieger und Verlierer? Wenn wir unsere Einstellung ändern, indem wir nicht auf Sieg spielen, sondern auf Gewinn. Wollen wir gewinnen, sind wir ungezwungen in der Zielerreichung und selbst ein Unentschieden  hat mich Erfahrungen gewinnen lassen, selbst die positive Erfahrung, nicht Verlierer zu sein, einen anderen aber auch nicht verlieren lassen zu haben.

Haben alle beteiligten Parteien gewonnen, so haben alle eine ganz andere Akzeptanz und Einstellung gegenüber ihrem Widersacher und dem Streitgegenstand.

Wo ist denn nun aber das Problem? Ganz einfach, wer nachgibt, erscheint nach außen hin als Schwächling, als der, dem die Argumente ausgehen, eben als Verlierer. Letztlich geht es darum, auf Grund einer hohen Selbstachtung und eines gesunden Selbstwertgefühls nachzugeben und nicht seinen Willen oder seine Meinung durchsetzen zu müssen. Wer nachgeben kann, geht immer gestärkt aus einem Streit hervor, weil er Toleranz und Akzeptanz lebt, weil er seine Sicht für andere Fakten und Tatsachen erweitert hat und sicherlich auch wertvolle Argumente für sich gewinnt.  Wer nachgeben kann, akzeptiert nicht nur andere Meinungen, sondern vermittelt auch dem Vertreter der Meinung eine gewisse Wichtigkeit und Berechtigung seiner Meinung. Durch nachgeben können entsteht letztlich auch eine andere Streitkultur, in der Minderheiten geachtet werden, in der anderes Denken akzeptiert wird und die Mitgefühl vermittelt.