„Der erste Eindruck entscheidet“ oder „Keine zweite Chance für den ersten Eindruck“

Diese Aussage kenne ich seit vielen Jahrzehnten und sie hat mich in der Familie begleitet, der Schule, den Ausbildungen, im Studium, den Tätigkeiten im Außendienst, einer Vielzahl von ernsthaften und einfach nur aus Spaß geführten Vorstellungsgesprächen. Heute erlebe ich die Wirkung dieser Worte und was es aus den Menschen macht als Coach und Dozent mit meinen Coachee und Gruppenteilnehmern.

Betrachte ich diese Theorie und Praxis aber eben nicht aus der Sicht des EGO, das sagt „so ist es“ sondern aus einer Sicht, die fragt „ist das tatsächlich so?“, so bleibt auf beiden Seiten der handelnden Personen nur eine Lüge. Meine ganz persönliche Schlussfolgerung ist: was interessiert mich, was andere Menschen über mich denken, ich bin nicht massenkompatibel und tue gar nichts dafür, um anderen Menschen zu gefallen. Ich habe gar nichts mit den Denkweisen und der emotionalen Vergangenheit anderer Menschen zu tun.

In dem Bewusstsein, zu „wissen“, dass es keine zweite Chance gibt, sind fast alle Menschen versucht,  z. B. in der Phase des gegenseitigen kennen Lernens dem anderen Menschen zu gefallen. Was damit verbunden ist, ist dass wir in die Rolle fallen, möglichst viel dafür zu tun, um auf der anderen Seite Sympathie zu erzeugen. Wir haben sogar ein Gespür dafür, zu merken, ob unser Rollenspiel ankommt oder nicht. Kommt es an, betreiben wir es weiter, kommt es nicht an, versuchen wir es auf eine andere Art oder wir tun den anderen Menschen irgendwie negativ ab. Wir kommen gar nicht auf den Gedanken, dass wir mit unserem Schau(Versteck)spiel unter den gesellschaftlich erlernten Verhaltensmustern gar keine Chance haben, authentische zu sein.

Was geschieht denn eigentlich in uns, wenn wir jemanden oder etwas kennen lernen können, wollen, sollen.

Der Mensch ist ein zutiefst emotionales Wesen. Noch bevor wir als Kleinstkind anfangen, auf der Basis des IQ (Intelligenzquotient = akademisches Wissen) zu lernen, ist wir schon im EQ (emotionaler Quotient = Emotionen und Gefühle) verletzt. Hier gibt es bei keinem Menschen eine Ausnahmen. Diese emotionale Verletztheit begleitet uns unser ganzes Leben und wird immer weiter genährt, solange wir das System nicht erkennen und durchbrechen.

Jemanden/etwas kennen lernen hat eben etwas mit lernen zu tun. Unser Gehirn ist aber so strukturiert, dass alle Informationen, wenn wir sie dann aufnehmen, einen bestimmten Weg nehmen. Dieser ist vorbestimmt, neuronal definiert.  Bevor eine Information in unser Kurzzeitgedächtnis kommen kann – dort landet erst einmal alles –  muss sie durch das Limbische System, unser  Emotionalhirn. Dort wird entschieden, ob sie ihren Weg fortsetzen darf oder abgelehnt wird.

In unserer emotionalen Wahrnehmung werden wir bereits als Kinder durch das erzieherische Umfeld konditioniert (in der Computersprache sagt man programmiert) und so, wie sich ein Computer nicht einfach selber umprogrammieren kann, machen wir es als Menschen auch nicht einfach so. Da der Mensch in seinem EGO auf Anerkennung ausgerichtet wird, ist die Konditionierung auf Schmerzvermeidung – Spüren von Ablehnung – fixiert. So lernen wir das Rollenspiel und wie in jedem Film gibt es dann gute und weniger gute Schauspieler.

Neben dem Rollenspiel haben wir es hier mit einem weiteren nicht förderlichen Umstand zu tun. Körperlich sind wir als Mensch immer in der Gegenwart, gedanklich aber eben wiederum auf Grund unserer Konditionierung entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft. Es gelingt uns nur ganz selten und dann auch nur für wenige Momente bewusst in der Gegenwart zu sein. Das Ergebnis ist Unkonzentriertheit in der Gegenwart. Viel hinderlicher ist allerdings, dass wir in ungewohnten Situationen und jede neue Situation ist für uns zunächst einmal ungewohnt, völlig unbewusst in die Vergangenheit gehen und dort in Bruchteilen von Sekunden nach vergleichbaren Situationen und Personen und damit nach Lösungen suchen.

Alle aufgenommenen Informationen werden in unserem Hirn vielfältig in mehreren Regionen gespeichert. Über die verschiedensten Assoziationen werden sie dann abgerufen. Je mehr wir eine Rolle spielen und anderen Menschen gefallen wollen, umso geringer ist die Auswahl an Assoziationen,  weil „… das macht man nicht!“ oder „… das tut man nicht!“, „… das ist verboten!“ oder „… das wurde schon immer so gemacht!“. Bildhaft ausgedrückt, ist unser Gehirn wie ein Schrank mit Schubladen, deshalb auch Schubladendenken. Der Schrank hat zwei Seiten und jede Seite hat viele Schubladen. Jede dieser Laden ist angefüllt mit Karteikarten und auf diesen ist alles gespeichert, was wir je erlebt haben.

Auf den Karten steht ausschließlich die sachliche Information, also z. B. dass du, lieber Leser, am heutigen Tag jetzt diesen Artikel mit dem hier dargelegten Inhalt ließt. Was allerdings nicht auf der Karte steht, aber genau in diesem Moment bei dir auch stattfindet, ist die emotionale Ansprache und Reaktion. Was wir nicht sehen können, ist, dass  die Karte eine (emotionale) Energie, eine (emotionale) Spannung oder (emotionale) Ladung hat, durch die wir dann dahin kommen, wovon wir sagen „da war ich aber auf 180“. Du sagt dir „so ein Quatsch“ oder „ist ja interessant“ und das geht eben von den Emotionen, der Konditionierung aus. Wieder zu dem Schrank zurück, werden die Informationen, die du mit „Quatsch“ bewertest auf der einen Seite mit der sogenannten „dunklen Bibliothek“ verbunden, die du mit „interessant“ bewertest auf der anderen Seite in der sogenannten „hellen Bibliothek“.  Dabei ist das, was z. B. in der dunklen Bibliothek bei Peron A abgelegt wird, bei Person B völlig im grünen Bereich und wird in der hellen Bibliothek abgelegt.

Ist Person A bei Person B eben auf Grund deren dunkler Bibliothek negativ belegt, hat A gar keine Chance für einen positiven Eindruck. Es wirkt wie eine sich erfüllende negative Prophezeiung. Genau das sich selbst Erfüllende entsteht auf Grund der Emotionen. In dem Moment, in dem bei B seine Bilder aus der Vergangenheit angesprochen werden, reagiert er unbewusst in seinen alten Emotionen, für die Person A allerdings gar nichts kann.  B ist fast ausschließlich darauf fixiert, dass wahr zu nehmen, was ihn persönlich stört. Dieser Prozess geschieht ausschließlich unbewusst. Nicht anders ist es natürlich auch bei A. Auch in ihm wird beim Anblick von B in den Bibliotheken nach Vergleichsbildern gesucht und diese auch gefunden.

So versucht Person A der Person B durch Manipulation zu gefallen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Nicht selten fällt der manipulierte B auf den Manipulator A herein, wenn es A gelingt, genau die Verhaltensweise an den Tag zu legen und die Worte zu wählen, die B sehen und hören möchte. Allerdings ist der Tag der persönlichen – nicht gegenseitigen –  Enttäuschung nicht weit entfernt.

Menschen, die wissen, dass es keine guten und keine schlechten Informationen gibt, sondern dass die Bewertung ausschließlich im Kopf des Adressaten geschieht, können vermitteln, dass somit auch ein Absender als  Ereignis / Person gar keinen Einfluss auf die Bewertung „sympathisch“ oder „unsympathisch“ hat, weil der Empfänger selber über seine Sichtweise entscheidet. Entsprechend unserem ganz persönlichen Gang in unsere Vergangenheit wird dann völlig unbewusst die Wertung + Bewertung + Urteilen und dann evtl. Verurteilen vollzogen. Sympathie  und Antipathie haben nie wirklich etwas mit der anderen Person oder neuen Situation zu tun, sie entstehen auf Grund der ganz persönlichen Vorgeschichte und dazu gespeicherten Informationen und vor allem der Wertung der Informationen im eigenen Kopf.

Mein persönliches Werturteil ist in dem Fall das, was mich in meiner Möglichkeit für eine Erkenntnis behindert, da ich der anderen Person in meinem Schubladendenken entweder Unrecht tue oder ihr einen Bonus gebe, den ich jemand anderem rein subjektiv verweigere.

Die Erkenntnis, dass die Aussage „Keine zweite Chance für den ersten Eindruck“ auf beiden Seiten ein Selbstbetrug und nichts anderes, als Schubladendenken ist,  kann schrittweise die Situation verändern. Lernen, einfach darauf gespannt zu sein, wie der andere Mensch ist, was mir die unbekannte Situation vermitteln kann, ist viel erfahrungsreicher und interessanter, als der Glaube daran „… es gewusst zu haben“.

Sympathie  und Antipathie sind letztlich unter der Betrachtung „keine zweite Chance für den ersten Eindruck“ diskriminierend und von einem Mangel an lernen wollen und lernen können gekennzeichnet. Es ist letztlich wieder nur mehr Schein als Sein, wodurch ein innerer Prozess angeschoben wird und zu (Fehl)Entscheidungen führt.

Immer, wenn uns jemand/etwas Neues begegnet können wir uns des Musters aus der Vergangenheit bewusst werden, bewusst aussteigen und so die Chance haben, tatsächlich etwas/jemanden kennen zu lernen. Musterdenken ist der Aufenthalt in der Komfortzone, auf Wissensinseln.

„Ich möchte für das, was jetzt kommt offen sein“ ist die wirklich Ziel führende  Einstellung, die beide Seiten wachsen und Vertrauen fassen lässt.

Das Leben ist ein Spiel, in dem man nicht siegen kann. Es ist kein Strategiespiel wie Schach oder Mühle, es heißt einfach nur „Mensch ärgere dich nicht“.  Ich gewinne in diesem Spiel täglich Erfahrungen, indem ich lerne. Wo es keinen Sieger gibt, gibt es auch keinen Verlierer, es gibt nur Gewinner.  Ich lade dich zu diesem Spiel ein, versuch es einfach einmal!